Ein Paradigmenwechsel in Brüssel bahnt sich an: Die EU-Kommission erwägt ernsthaft, sich schrittweise von Microsofts Cloud-Diensten zu lösen und stattdessen auf europäische Anbieter wie OVHcloud umzusteigen. Gespräche dazu laufen bereits – und sie sind kein Zufall.
Was einst als strategisches Fernziel galt, hat durch einen Vorfall neue Dringlichkeit bekommen: Als der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs plötzlich den Zugriff auf sein E-Mail-Konto verlor – blockiert wegen US-Sanktionen – wurde vielen Entscheidungsträgern schlagartig klar, wie verletzlich selbst höchste Institutionen sind, wenn ihre digitale Infrastruktur im Ausland gehostet wird.
Die Reaktion: Die EU sucht zunehmend nach technologischer Selbstbestimmung. Mit Projekten wie "EuroStack" und dem Ruf nach einer "Europa-zuerst"-Strategie rücken europäische Rechenzentren und unabhängige IT-Plattformen ins Zentrum politischer Diskussionen. Ziel ist, mehr Kontrolle über eigene Daten und digitale Systeme zu gewinnen – auch, um künftige geopolitische Abhängigkeiten zu vermeiden.
Zwar bemüht sich Microsoft weiterhin, das Vertrauen europäischer Kunden durch Datenschutzversprechen und lokale Cloud-Angebote zu stärken. Doch der Druck wächst: Der Datenschutzbeauftragte der EU kritisierte zuletzt öffentlich die Nutzung von MS 365, weil sie nicht mit den internen Datenschutzregeln der Institutionen vereinbar sei.
Mit der neuen Zuständigkeit einer Kommissionsvizepräsidentin für digitale Souveränität scheinen politische und technische Weichen nun klarer gestellt. Die Zeiten, in denen europäische Behörden blind auf US-Clouds setzten, könnten bald vorbei sein.